Sabine Leidig
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Redetext

Artikel
Gesundheit ist keine Ware und der Markt richtet es nicht
22. April 2020
Erschienen in
In der Corona-Krise werden Risse und Mängel im Gesundheitssystem offensichtlich. Jahrelang wurden die Krankenhäuser auf Markt und Profit zugeschnitten, mussten sich „rechnen“: Betten und Stationen müssen immer (fast) ausgelastet sein. Wenn der Bedarf dann steigt wie jetzt, fehlen Reserven. Unser Gesundheitswesen ist auf Kante genäht.

Schon jetzt gehen die Beschäftigten in den Krankenhäusern auf dem Zahnfleisch. 200.000 Pflegekräfte haben in den letzten Jahren den Beruf verlassen. Man hat die Heilung von Menschen einer betriebswirtschaftlichen Logik untergeordnet. Zum Glück wurden die Vorschläge der Bertelsmann-Stiftung noch nicht umgesetzt, die vor kurzem empfahl, die Zahl der Kliniken in Deutschland von „knapp 1.400“ auf „auf deutlich unter 600“ zu reduzieren. In Spanien oder Italien, wurde das Gesundheitswesen unter der Knute europäischer „Austeritätspolitik“ bereits buchstäblich kaputt gespart.

Christian Drosten, Virologe der Berliner Charité, erklärte in seinem Corona-Podcast, dass es mit der Laborverfügbarkeit für Tests ein großes Problem gibt: «Weil die Kostenoptimierung in der Medizin dazu geführt hat, dass ganz viele Kreis- und kommunale Krankenhäuser einfach ihr Labor komplett abgeschafft haben. … im Sinne von ökonomischer Effizienz und das ist etwas, das in vielen Bereichen der Medizin in den letzten 15 Jahren stattgefunden hat, in den letzten zehn Jahren noch verstärkt, das ist die Fallpauschalenvergütung in den Krankenhäusern, die viele ganz kleinen Krankenhäuser schon längst dazu gezwungen hat, aufzugeben, und andere Krankenhäuser dazu gezwungen hat zu fragen, wo können wir eigentlich sparen

Beim privatisierten Uniklinikum Gießen Marburg (Röhn-AG) will einer der Großaktionäre, B. Braun Melsungen, mitten in der Corona-Pandemie Dividenden in dreistelliger Millionenhöhe an die Aktionäre ausschütten; der andere, Asklepius, verweigert andernorts Tarifverträge und kündigt Betriebsräte. Die aktuelle Übernahmeschlacht an den Aktienmärkten zeigt überdeutlich, dass das Uniklinikum in öffentliches Eigentum zurückgeführt werden muss.

 

In der Corona-Krise wird außer Kraft gesetzt, was den Markt ausmacht: Es ist die zahlungsfähige Nachfrage, die darüber bestimmt, wer was und vor allem: wie viel kriegt, unabhängig vom Bedarf anderer. Dass dieses Prinzip nicht zum Wohle aller ist, könnte eine Lehre aus der Corona-Krise sein. Zum Beispiel, dass es an der Zeit wäre, die Gesundheitsversorgung wie Daseinsvorsorge generell wieder den Prinzipien des Marktes zu entziehen, lebensrettende Kapazitäten nicht mehr dem «Kostendruck» zu opfern, Löhne zu garantieren, die ein gutes Leben ermöglichen und krisensicher sind und Arbeit so zu gestalten, dass sie nicht zum Burnout führt.

 

Gut für alle wäre 500 Euro mehr Grundgehalt in der Pflege; 100 000 mehr Pflegekräfte im Krankenhaus; 100 000 mehr Pflegekräfte in der Altenpflege; ein gesetzlicher Personalschlüssel, der sich am tatsächlichen Bedarf bemisst und eine Pflege-Voll-Versicherung, die alle Bedarfe abdeckt.